Florian Wehner
Keltische Gesänge
QUELLE
1.
Ich lebe noch.
Das ist unwahrscheinlich, ich weiß, schließlich besitzen die meisten Menschen den Anstand, sich zu verabschieden, bevor sie das Jahrhundert vollenden. Ich hingegen bin nicht nur nicht tot, sondern erfreue mich einer Gesundheit, die ein Fünfzigjähriger zu besitzen sich glücklich schätzen würde. Das Seltsame daran ist, dass ich keine Ahnung habe, warum das so ist. Nichts von dem, was mich lebendig erhält, unterliegt in irgendeiner Weise meinem Einfluss. Weder treibe ich viel Sport, außer langen Spaziergängen, noch enthalte ich mich dem Alkohol. Im Übrigen rauche ich gern Pfeife und trinke italienischen Kaffee im Übermaß. Meine Raucherleidenschaft trägt dafür Sorge, dass stets ein leichtes Aroma von Plumcake meine Wohnung durchweht, obwohl mir der Arzt bereits vor vier Jahrzehnten mindestens ein ordentliches Kehlkopfkarzinom voraussagte. Er ist schon lange tot.
Ja... Voraussagen. Die Menschen sollten eine Sammlung der Voraussagen anlegen, die ihnen im Laufe ihres Lebens gemacht werden; das würden Bücher des Narrentums, die ohne Beispiel sind.
Tatsächlich lebe ich und nichts spricht dafür, dass sich dies in absehbarer Zeit ändern sollte. Eigentlich bin ich seit Langem der Ansicht, dass meine Zeit abgelaufen ist, denn ich existiere lediglich von Erinnerungen, von meinem Schachspiel und gelegentlicher Nahrungsaufnahme. Keine Alterserscheinung trübt meine Sinneswahrnehmungen, kein Rheuma krümmt meine Knochen, kein grauer Star trübt mir die Sicht und keine Demenz lässt mich die Dinge vergessen, derer ich mich schäme. Etwas, sehr tief in meinem untoten Dasein, sagt mir, dass anderes als nur eiserne Gesundheit für die beharrliche Fortdauer meines Lebens verantwortlich ist. Anderes, das mir fremd ist. Ich spüre ihm nach, kann es jedoch nicht aus seinem Versteck lotsen.
Der ewige Bulle. Ich starre in den Wohnzimmerspiegel hinein, der mein noch recht glattes Gesicht, aber auch meine strahlend hellblauen Augen wiedergibt. Ich betrachte das Bild zu oft, bei ehrlicher Betrachtung, als es sich für einen alten Mann geziemt. Er ist eitel, nicht ich. Nicht mehr.
»Du bist nicht Sennheiser«, sage ich zu dem Spiegelbild. »Du bist nicht Demian Sennheiser.«
Selbstverständlich würdigt mich der Mann im Spiegel keiner Antwort. Er ist jung, spannkräftig, lebensfroh und legt großen Wert darauf, dass dies so bleibt. Er ist neugierig, im Gegensatz zu mir. Und er hat weiterhin viel vor. Er muss noch einiges tun, bevor es so weit ist, ehe er zu dem alten Mann wird, der ich bin. All das weiß ich aus der Art, wie er mich anschaut. So habe ich die Menschen angesehen, als ich arbeitete und erfolgreich war. Selbstsicher. Arrogant.
»Was hält mich bei solcher Gesundheit? Mach dich nützlich, Störenfried, und gib mir darauf eine Antwort.«
Nichts.
Ich beobachte, wie er immerhin nachdenkt. Es ist etwas Eigenartiges, das eigene Ich nachdenken zu sehen, außerhalb von einem selbst. Man hat fast ein Schamgefühl, es dabei zu stören. Nach einer Weile, ich habe schon nicht mehr daran geglaubt, meldet er sich tatsächlich, mit meiner Stimme aus dem Spiegel: »Deine Gesundheit, Demutsloser..., vielleicht wirst du sie noch brauchen.«
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5.
Die Luft in meinem Büro war zum Schneiden und ich griff zum x-ten Male nach der Mineralwasserflasche, die ich neben dem Computerbildschirm abgestellt hatte. Die Hitzewelle erreichte an diesem 12. August ihren vorläufigen Höhepunkt und ein Ende war nicht abzusehen. Der Ventilator hatte längst den Kampf gegen die Schwüle aufgegeben und summte resigniert vor sich hin, während mir der Schweiß aus den Achselhöhlen ins Hemd troff. An Urlaub war nicht zu denken. Solange ich im Polizeidienst stand, hatte ich eine Zeit wie diese nicht erlebt, nicht einmal während meiner Einsätze in Berlin, und da war weiß Gott einiges los gewesen.
Seit drei Wochen ging hier, im Kommissariat 42 in München, alles drunter und drüber, und es war offensichtlich, dass weder die Kollegen noch ich im Geringsten auf eine Mordserie wie diese vorbereitet waren. Mir war die Aufgabe zugeteilt worden, die Arbeit der verschiedenen Einsatzgruppen zu koordinieren und hierfür Computerprogramme zu erstellen. Allerdings hatte ich mit Schrecken festgestellt, dass es da nicht viel zu erstellen gab. Zudem nervte der Chef mit ständigen Dienstbesprechungen, die meiner Ansicht nach die Arbeit eher behinderten, doch ich begriff, dass er Leuten weiter oben Rechenschaft schuldig war. Ich drückte hastig die Zigarette im Aschenbecher aus, der schon überquoll. Frühere Vorsätze, das Rauchen aufzugeben, hatten sich in der Sommerhitze aufgelöst.
Die Tür wurde aufgerissen und mein Mitarbeiter Sebring steckte den Kopf durch. Sein Gesicht wirkte abgespannt und müde, wie das aller Kollegen in meiner Behörde.
»Lundqvist«, sagte er kopfschüttelnd, »eine Dienstbesprechung, in ’ner halben Stunde. Drüben, im großen Besprechungszimmer. Nimm mit, was du hast.«
»Ich hab nichts«, gab ich gereizt zurück. »Wir haben nichts«, verbesserte ich.
Sebring machte zwei Schritte vorwärts, schloss die Tür.
»Ich weiß«, erwiderte er resigniert. »Aber irgendwas müssen wir vorweisen. Der Leitende Staatsanwalt ist da. Und ein paar Herren vom Verfassungsschutz oder BND, was weiß ich.« Er kam näher, zog sich einen der Drehstühle heran und setzte sich neben mich, sodass er den Bildschirm sehen konnte. »Die werden uns ein paar Aufpasser zuteilen. Das musste früher oder später passieren.«
Ich blickte Sebring an und nickte. »Sieh uns doch an. Wir kommen keinen Schritt weiter. Der Mörder schlägt scheinbar wahllos zu. Die Kollegen sind übermüdet. Meine Mädchen wissen kaum noch, wie ich aussehe. Meine Kleinste meint, ich sei ein Gespenst, wenn ich nachts heimkomme.«
Beim Gedanken an meine Töchter spürte ich ein leichtes Ziehen in der Herzgegend. Ich musste einen Ausweg finden, soviel war klar.
Sebring legte eine Hand auf meinen Arm. »Geht uns allen so, Lundqvist. Vielleicht... können wir ein bisschen Hilfe ganz gut gebrauchen.« Er sagte es ohne Überzeugung. Natürlich nagte die Einmischung der Bundesbehörden am Stolz der Abteilung.
Ich erhob mich von meinem Stuhl, der Kunstlederbelag schimmerte feucht. Während wir durch den Korridor gingen, der die beiden Flügel des Gebäudes miteinander verband, dachte ich daran, dass das Kriminalkommissariat 42 eine Renovierung dringend nötig gehabt hätte. Aber bei den chronisch leeren Kassen der öffentlichen Hand bestand dazu kaum eine Chance.
Das Besprechungszimmer war bereits halb voll. Der große Videobildschirm war eingeschaltet worden und flackerte unruhig. Zwei der Mitarbeiter meiner Einsatzgruppe hatten auf einer der mittleren Reihen Platz genommen und blickten misstrauisch auf drei Männer in Anzügen, die neben dem Monitor standen und sich fast flüsternd unterhielten. Den älteren der drei erkannte ich sofort; ich war ihm in meiner Berliner Zeit schon begegnet. Sein Name war Karl-Heinz Wedelstädt, ein hohes Tier bei der Bundesanwaltschaft. Die anderen beiden, jünger und etwas vierschrötig, mussten vom Verfassungsschutz sein.
Sebring und ich setzten uns zu den Kollegen Jan Werner und Peter Lansky. Wir grüßten uns kurz. Wenig später trafen die beiden weiblichen Mitglieder meiner SEG ein, Sabrina Zurstege und Sylvia Zerres. Sie nickten uns zu und setzten sich in die Reihe hinter unserer.
Die Gespräche verstummten, als Hauptkommissar Wöllinger den Raum betrat. Er war das Paradebild dessen, was man in Bayern ein >gestandenes Mannsbild< nannte. Groß, Mitte sechzig, mit einem ansehnlichen Bauch unter der meist zu knappen Weste, und einem runden, leicht geröteten Gesicht, das ein eisgrauer, buschiger Schurrbart zierte. In Tracht musste er eine tolle Figur abgeben. Es gab niemanden in der Abteilung, der ihn nicht ebenso mochte, wie respektierte, und ich hatte, als ich zwei Jahre zuvor nach München gekommen war, schnell begriffen, warum. Wöllinger leitete das Kommissariat mit nicht minder großer Umsicht bei der Polizeiarbeit, wie Fürsorge für seine Untergebenen und behandelte jeden gleich. Sofort an meinem ersten Diensttag hatte man mir klargemacht, welche Ehre es sei, gerade im KK 42 arbeiten zu dürfen. Auch die Schattenseiten hatte ich schnell kennengelernt: eine hohe Arbeitsbelastung und ein erheblicher Erfolgsdruck, was zum Teil mit der engen Verzahnung mit dem Landeskriminalamt, das zwei Häuserblocks weiter seinen Sitz hatte, zu tun hatte.
Wöllinger warf einen kurzen, undefinierbaren Blick auf die Herren in den Anzügen und begrüßte die Anwesenden mit einem Kopfnicken, das offenbar aufmunternd wirken sollte. Die letzten Wochen mussten ein herber Schlag für ihn gewesen sein. Niemand konnte sich erinnern, dass Ermittlungen in einer Mordsache jemals ein solches Bild der Hilflosigkeit abgegeben hätten. Nichts, was den Erfahrungen langjähriger Polizeiarbeit entsprach, ließ sich auf das anwenden, was sich seit drei Wochen in München abspielte.
Wir standen da mit nichts, und wir wussten es. Als ich Wöllinger ansah, wie er mit seinem Seemannsgang nach vorne ging, ahnte ich, dass er genau dies zum Ausdruck bringen würde. Er war kein Mann der Umschweife und er war nicht eitel genug, in eigener Regie weitere Ermittlungen zu fahren, die die Niederlage nur hinauszögern würden.
Der Saal war inzwischen voll. Einige der Kollegen der übrigen fünf Einsatzgruppen hatten sich entlang der Wände aufgestellt und die Herren der Bundesbehörden waren nach vorn gegangen. Sie flankierten unseren Chef. Wie ein Bewachungskomitee, dachte ich.
Wöllinger klopfte aufs Mikrofon, räusperte sich kurz, wie er es immer machte und fing zu sprechen an in seinem gepflegten Bayerisch, das so verständlich wie Schriftdeutsch war.
»Herr Wedelstädt von der Bundesanwaltschaft«, stellte er vor und deutete auf den Mann zu seiner Rechten, »und die Herren Seinsheim und Weiler vom Verfassungsschutz. Außerdem noch der Leiter der Rechtsmedizin, Prof. Schwarzmeier.« Erst jetzt bemerkte ich den kleinen grauhaarigen Mann, der links neben dem Bildschirm saß; ein Muster an Unauffälligkeit.
»Den würde ich bei jeder Beschattung einsetzen«, flüsterte Sylvia Zerres in mein Ohr, als ob sie meine Gedanken gelesen hätte. Trotz meiner gedrückten Stimmung musste ich lachen. Wöllinger warf mir einen strengen, aber nicht bösen Blick zu.
»Der Anlass, warum wir hier versammelt sind«, fuhr er fort, »besteht darin, dass wir ohne Hilfe nicht weiterkommen. Deshalb unterstützen uns die Bundesbehörden bei den Ermittlungen.«
Er machte eine Pause, um seine Worte wirken zu lassen. »Wir werden im Team mit ihnen arbeiten und Bericht erstatten. Herr Wedelstädt und die beiden Herren werden eine Einsatzzentrale bei uns einrichten. Sie haben freien Zugang zu allen Bereichen, Dateien und Akten. Ihnen sind sämtliche gewünschten Informationen zu erteilen.«
Die Zuschauer ließen ein leises Raunen ertönen. Wöllinger ignorierte es. Er drehte sich halb Wedelstädt zu. »Die bisherigen Ermittlungen laufen bei der SEG 1 zusammen, die von Herrn Lundqvist geleitet wird.« Er sah zu mir herüber, Wedelstädt folgte seinem Blick, dem ich nicht entnehmen konnte, ob er mich wiedererkannte.
»Herr Lundqvist, wenn Sie bitte berichten«, forderte Wöllinger mich auf.
Ich erhob mich, meine spärlichen Unterlagen in der Hand, verfluchte innerlich die Hitze und stellte mich ans Mikrofon.
»Es gibt fünf Todesfälle - bis jetzt«, begann ich. »Alle gleichen sich in den wesentlichen Punkten. Die Toten weisen Vergiftungssymptome auf, wie sie bei Curare auftreten.« Ich blickte Prof. Schwarzmeier an, der regungslos zurückstarrte. »Bei den ersten beiden Opfern waren wir nicht sicher, ob es sich nicht um eine Krankheit handeln könnte, aber die Untersuchungen der beteiligten Institute bestätigten die aktuelle Version. Die Art der Verabreichung ist noch unbekannt, möglich ist oral, durch Injektion oder über die Atemwege.«
Ich hielt inne, um in meinen Unterlagen zu blättern.
»Der erste Tote war Dr. Sigmar Malik, stellvertretender Leiter des anthropologischen Instituts der Uni München. Er wurde am 25. Juli in seinem Büro aufgefunden. Zwei Tage später wurde ein Oberarzt des Großhaderner Klinikums, Abteilung Chirurgie, Dr. Frank Leitmann tot in seiner Wohnung entdeckt. Am 1. August der Rechtsanwalt Richard Sautter in seiner Kanzlei, am 7. August der pensionierte Bankdirektor, Enrico Lecci, des Banco di Brescia, Filiale München, und am 10. August, also vor zwei Tagen, einer der Sozien der Wirtschaftsprüferkanzlei Soltau und Heinecken, Dr. Heinrich Soltau. Die letzteren beiden wiederum in ihrer Wohnung.«
»Gibt es eine Verbindung zwischen den Getöteten?«, fragte mich Wedelstädt.
»Keine von der wir wüssten«, antwortete ich. »Natürlich haben wir als Erstes eine eingehende Befragung der engsten Familienmitglieder durchgeführt. Demnach hätten sich die Opfer nicht einmal gekannt. Sie stehen auch nicht in irgendeiner erkennbaren beruflichen Verbindung zueinander. Aber wir ermitteln daran. Die SEG 2 und 3 vernehmen die Freundeskreise der Toten, SEG 4 und 5 beschäftigen sich mit deren beruflichem Umfeld. Die Gruppe 6 mit ihrem Freizeitverhalten.«
»Vielleicht gibt es Gemeinsamkeiten bei gewissen Gewohnheiten«, wandte Wedelstädt ein. »Möglicherweise könnten sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass sie irgendwelche Geheimnisse miteinander teilten, verreisten, mit unbekanntem Ziel, sich woanders trafen. Oder auf Versammlungen gingen.«
»Lecci und Dr. Soltau machten öfter Dienstreisen. Dr. Leitmann und Rechtsanwalt Sautter waren zwar verheiratet, lebten jedoch eher zurückgezogen. Alle hatten offenbar ein geregeltes Familienleben.«
»Gab es bei den Personen, die Sie befragt haben, Auffälligkeiten? Widersprüche in deren Aussagen, Auslassungen oder so etwas?«
»Wir sind noch dabei, auszuwerten. Bisher gibt es dafür keine Anhaltspunkte. Die Opfer waren dem Anschein nach normale Bürger. Derzeit beschäftigen wir uns mit ihrer Vergangenheit. Es ist zu früh, um etwas Konkretes sagen zu können. Das Computer-Intersektionsprogramm konnte bisher kein Muster erkennen. Von den offensichtlichen Ähnlichkeiten in der Tatbegehung freilich abgesehen.«
Wedelstädt verzog das Gesicht.
»Der Albtraum jeder Polizeibehörde, dass Serienmorde irgendwann auch bei uns Mode werden.« Er sah mich direkt an. »Wir haben wenig Zeit. Nichts deutet darauf hin, dass Dr. Soltau der Letzte war. Meine Dienststelle wird so viel Personal wie möglich zur Verfügung stellen. Die Sache hat höchste Priorität. Zunächst bekommt jede Einsatzgruppe einen Mann beigestellt.«
Viele Köche verderben den Brei, dachte ich.
»Zudem sitzt uns die Presse im Nacken«, fiel Wöllinger ein.
»Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben darf«, sagte ich, an Wedelstädt gewandt. Er sah mich auffordernd an. »Es muss ja nichts bedeuten, aber die Opfer sind alle männlich.«
Wedelstädt nahm meinen Gedanken auf. »Sie denken an eine Art... Bruderschaft? Oder Sekte, oder Loge, an der die Opfer beteiligt gewesen sein könnten?«
»Irgendetwas in der Art. Es ist doch ausgeschlossen, dass die gar nichts miteinander zu tun haben sollen. Es muss eine Verbindung geben, und wenn sie nicht offiziell ist, ist sie geheim. Die Opfer haben Berufe im akademischen Bereich, ohne Ausnahme. Vielleicht sollte ihr Studentenleben einmal durchleuchtet werden.«
Wedelstädt nickte zustimmend. »Guter Ansatz. Wir sollten da einen Schwerpunkt bei den Ermittlungen bilden. Allerdings denke ich, dass wir nicht so weit zurückgehen sollten. Die Morde haben sicher einen aktuellen Anlass.« Er sagte es mit einem merkwürdigen Nachdruck. Er wandte sich an Wöllinger. »Lassen Sie uns mit den Befragungen so schnell wie möglich fortfahren. Zwei der Ermittlungsgruppen sollen sich mit dem Umfeld der Opfer beschäftigen. Die SEG 1 soll nach wie vor die Ergebnisse koordinieren.«
Er gab den beiden Herren vom Verfassungsschutz ein Zeichen und verließ mit ihnen den Saal. Ich hatte kein gutes Gefühl. Wollten sie bei den Ermittlungen helfen oder sie überwachen?
Wöllinger betrachtete eine Weile sinnend den Bildschirm, der nicht zum Einsatz gekommen war. »Diese Technik«, bemerkte er mit einem Lächeln. »Was zählt, ist eben doch gute Polizeiarbeit.« Ein Anflug von Heiterkeit durchwehte den Sitzungsraum. Wir hatten sie nötig in diesen Zeiten.
Als ich als einer der Letzten gehen wollte, hielt Wöllinger mich zurück. »Wir haben in letzter Zeit kaum Gelegenheit gehabt, miteinander zu reden.« Ich sah ihn an, sein Bedauern wirkte echt.
»Leider«, stimmte ich zu. »Was halten Sie von der Sache?«
Er blickte auf einen imaginären Punkt am Ende des Korridors.
»Ich habe ein schlechtes Gefühl. Nennen Sie’s Instinkt oder Ahnung. Diese Morde lassen sich mit nichts vergleichen, was mir jemals untergekommen ist. Irgendwas an der G’schicht erinnert mich an was. Aber i bring’s net zusammen.«
Ich sah ihn belustigt an, weil er ins Bayerische verfiel. Er merkte es und überging es.
»Ham Sie g’wusst, dass mei Vater Inspektor war? Bei der Kripo 50. Er ist pensioniert worden, da war i no bei der Streife. Der hat mir oft Sachen erzählt, die er so erlebt hat. Ach, des is jetzt so lang her...« Er blickte mich erneut an. »Wir müssen mal zusammen ein Bier trinken«, sagte er mit Wärme.
»Das würde mich sehr freuen«, antwortete ich.
Wöllinger wandte sich zum Gehen. Plötzlich hielt er inne und drehte sich um.
»Wie geht’s Ihren Mädeln?«, fragte er.
Meine Mädchen. Wieder der Stich in der Herzgegend.
»Ich glaube, gut«, erwiderte ich etwas verlegen.
»Schau’n wir, dass die G’schicht bald ein Ende hat. Dass sie noch was von ihrem Vater haben, bevor s’ aus dem Haus sind.« Er lächelte aufmunternd.
Dein Wort in Gottes Ohr, dachte ich, als ich ihm nachblickte.