Franz Haurenherm


Der Informatiker



19.

DIE MONTENEGRINERIN

Mario hatte Glück! Es sah fast so aus, als würde die bezaubernde junge Frau auf ihn warten. Freundlich lächelnd fragte sie, was sie für ihn tun könne.

»Ich beabsichtige morgen oder übermorgen weiter über die albanische Grenze nach Skutari zu fahren. Vielleicht können Sie mir einen Tipp geben, was ich zu beachten habe, damit ich mit den Behörden dieses verschlossenen Landes keinen Ärger bekomme. Sie kennen sich doch bestimmt damit aus.«

Bevor Mario auf seine Frage eine Antwort erhielt, reichte seine Gesprächspartnerin ihm die Hand und sagte: »Ich bin Admira und wenn Ihnen mein Name gefällt, können Sie mich gerne so ansprechen. Dann darf ich sicher auch Mario zu Ihnen sagen, wie es dem Anmeldeformular zu entnehmen ist.«

»Selbstverständlich bin ich damit einverstanden. Ich würde mich freuen, wenn du Mario zu mir sagst. Bitte entschuldige, wenn ich dich gleich mit Fragen überfalle. Wie ist es nur möglich, dass eine Montenegrinerin so perfekt deutsch spricht?«, wollte er wissen.

Admira entgegnete: »Das ist eine einfache Geschichte. Mein Vater hat mir einen Wunsch erfüllt und mich in Deutschland Germanistik studieren lassen, wahrscheinlich mit dem Hintergedanken, dass es nicht schaden könne, eine Dolmetscherin in seinem Hotel verfügbar zu haben.«

»Was habe ich für ein Glück, dich hier in diesem geschichtsträchtigen Land kennenzulernen«, versicherte er. »Du musst wissen, dass ich die Reise hierher gewissermaßen stellvertretend für meinen Vater angetreten habe. Er war im Jahr 1943 von den Nazis hierher in den Krieg geschickt worden. Später hat er dann im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg ein Buch darüber geschrieben, um die Menschen vor einem neuen Krieg zu warnen.«

Sie hatte ihm aufmerksam zugehört und fragte nach dem Titel des erwähnten Werkes. Als Mario ihn genannt hatte, sagte sie: »Du wirst es nicht glauben, das habe ich gelesen! Ich hatte es im Internet entdeckt und auf Wunsch meines Vaters bestellt. Eines Abends begann ich, einige Seiten darin zu lesen. Ich fand es derart interessant, dass es Mitternacht wurde, bis ich es zur Seite legte.

Nachdem ich meinem Vater einige Geschichten daraus erzählt hatte, bat er mich, das Buch aus dem Deutschen zu übersetzen. Nun beobachtete ich, dass er die Übersetzung immer wieder zur Hand nahm und darin las. Die Schilderung der Kriegserlebnisse aus der Sicht eines deutschen Soldaten faszinierten ihn offenbar so sehr, dass er es nicht lassen konnte, unentwegt darin zu lesen.«

Beeindruckt von Admiras Ausführungen merkte Mario nachdenklich an: »Ich kann mir kaum vorstellen, was Menschen in diesem Land empfinden, wenn sie die Biografie lesen. Schließlich waren es die Deutschen, die im April 1941 an einem friedlichen Tag mit Luftangriffen auf Belgrad den Krieg in Jugoslawien entfachten.«

Admira erwiderte: »Von den Erzählungen meines Vaters weiß ich, dass auch dieses Gebiet zwischen dem Skutarisee und der albanischen Grenze vom Partisanenkrieg nicht verschont geblieben ist. Nachdem Montenegro jetzt ein souveräner Staat geworden ist, gehe ich davon aus, dass sich die Beziehungen zu Deutschland noch weiter verbessern und deutsche Touristen unser Land besuchen werden.«

Sie wünschten sich eine gute Nacht und Admira fügte hinzu: »Dann bis morgen.«

Beeindruckt von dem Gespräch ging Mario in sein Zimmer und legte sich schlafen. In seinen Träumen war er mit Admira in Albanien unterwegs.


Nachdem er am Morgen im Restaurant gefrühstückt hatte, machte er einen Spaziergang durch Murici und bewunderte die uralten Häuser, die so manchem Sturm standgehalten hatten.

Als Mario gegen Mittag wieder das Hotel betrat, begrüßte ihn Admira an der Rezeption. Er hatte den Eindruck, dass sie auf ihn gewartet hatte. Offensichtlich war es wichtig, was sie ihm mitteilen wollte.

Sie sagte: »Am späten Abend habe ich noch mit meinem Vater gesprochen und ihm von dir und dem Buch deines Vaters erzählt. Du wirst es nicht glauben, er war begeistert und gab mir wegen deiner Bedenken gegenüber den albanischen Behörden den Rat, dich auf deiner Fahrt durch Albanien zu begleiten. Scherzhaft fügte er hinzu, dass die Rezeption bis zum Saisonbeginn von mir aber besetzt sein muss. Ich finde die Idee meines Vaters klasse! Und was meinst du dazu?«

Mario war überrascht. »Und ob mir die Idee deines Vaters gefällt! Es wäre für mich ein Geschenk des Himmels, wenn du dich entschließen könntest, mich auf meiner Reise zu begleiten.«

Admira antwortete: »Morgen früh warte ich auf dich, um mit dir zu fahren.«