Elmar Dod

Feuerfunken

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Sie kamen mit gezogenen Pistolen, zu zweit, quadratschädelige Figuren, die aus dem Renault Espace sprangen, der direkt hinter uns geparkt hatte wie nach einem versuchten Auffahrunfall. Links und rechts setzte sich einer neben mich auf den Rücksitz, die Pistolenläufe fühlte ich links und rechts an meinen Schläfen. Aschenbach aber wirkte heiter, als sei nun der Höhepunkt seines Abends gekommen.

»Da seid ihr ja endlich!«, rief er fröhlich. »Der Herr von Dignity, unser bezahlter Sensenmann, ist schon ganz unruhig geworden. Und jetzt muss er warten, warten, wenn auch nicht für immer warten! Denn ich will, kann, muss noch ein wenig leben! Ich will gut leben von dem Geld, das mir Mettler gegeben hat, will noch eine gute Weile leben vor meinem Tod, den dieser Herr da so eifrig zu organisieren gedenkt! Aber er hat ja nur einen Plastiksack bei sich, in den er das Helium pumpen will, bevor ich ihn mir über den Kopf stülpen und ersticken soll. Abscheulich! Wann endlich haben wir die rechten Bilder des Sterbens vor uns? Denn nur das Sterben brauchen wir zu fürchten. Der Tod ist ein Nichts, das wir nicht zu fürchten brauchen, wie uns schon ein Denker im Altertum sagte: Wenn wir sind, ist der Tod nicht, und wenn der Tod ist, sind wir nicht. Und diese Erkenntnis, dass der Tod ein Nichts ist, macht uns das vergängliche Leben erst köstlich.«

Aschenbach zog die Scheine hervor; ich hatte keinen Zweifel daran, dass es die von Mettler waren.

»Koks kaufe ich davon, schönen Koks für meine letzten Stunden, meine glücklichsten Stunden meines erfüllten Lebens vor meinem Tod. Denn sogar die Aufklärer wussten: Ein Wahn, der mich beglückt, ist eine Wahrheit wert, die mich zu Boden drückt. Na, kennt ihr diesen Denker? Könnt ihr ihn erraten? Aber ihr braucht euch nicht minderwertig zu fühlen, wenn ihr diese Art von Bildung nicht besitzt. Die Sache selbst kennt ihr ja: die Langeweile, den Trott des Alltags, diese Wahrheit, die uns alle niederdrückt. Die Wahrheit der Anpassung und Abstinenz! Aber ich folge den Geboten eines Dionysos! Habt ihr alles dabei, ich meine, wirklich gute Ware, absolut reines Kokain?«

»Aber klar doch, Chef!«, sagte der eine neben mir, der geduldig und verständnislos zugehört hatte. Er zog aus seiner linken und rechten Jacketttasche jeweils eine Klaviertaste. »Da ist bester Stoff drin. Genug für ein ganzes glückliches Leben!«

Der andere lachte dämlich, als ob er diesen Zustand des Glücks demonstrieren müsse. »Was machen wir mit den beiden?«, fragte er Aschenbach, der ihm ein pralles Bündel Scheine entgegenstreckte. »Zeugen sind nicht gut«, fügte er hinzu. »Carlos mag überhaupt keine Zeugen.«

»Lass die beiden in Ruhe«, sagte Aschenbach. »Wir können das später klären. Nehmt sie einfach mit!«

Die beiden Quadratschädel zögerten. »Sonst trete ich von dem Deal zurück!« Das überzeugte sie.

»Wir steigen um in unseren Renault«, entschied der eine. »Nimm alle Papiere, alles Wichtige mit, Chef! Wir können den Wagen nicht so stehen lassen.«

Aschenbach nahm Papiere aus dem Handschuhfach, wir stiegen um in den viel geräumigeren Renault Espace hinter uns. Der eine Quadratschädel legte noch ein Paket in den Wagen vor uns, der zunächst der einzige auf diesem Parkplatz gewesen war, und kam zurück in den Renault.

»Alle Türen und Fenster zu!«, sagte der andere und drückte ein paar Tasten auf seinem Handy.

Das Fahrzeug vor uns ging in einer Stichflamme auf, die bald in sich zusammensackte. In der Dunkelheit konnte ich nichts mehr von ihm erkennen.

»Nummernschilder sind einfach zu eindeutig«, erklärte der eine. Dann startete er den Renault Espace.

Aschenbach sog schon gierig aus einem Briefchen weißes Pulver ein. »Wo geht es denn hin?«, rief er dabei und gab sogleich die Antwort: »Fahren wir doch nach Paris und dann nach London! In die großen Städte dieser Welt!« Zu mir drehte er sich kurz um, als sei er mir eine Erklärung schuldig, und es klang, als würde er wieder einmal zitieren: »Der vernünftige Mensch denke an das Leben und nicht an den Tod - nachdem einmal das Wissen um den Tod uns durchdrungen hat.«

Der Wagen hatte den Parkplatz während Aschenbachs Worten verlassen und rauschte auf der Autobahnauffahrt immer schneller in die Dunkelheit. Aschenbachs Gesichtszüge hatten sich im Innenspiegel geglättet, als habe er in dem Briefchen mit dem weißen Pulver das vorübergehende Glück festgehalten, das nie sich wiederfindet. Der Mann von Dignity, der nun rechts neben mir saß, war in sich zusammengesackt, als sei er nicht mehr da. Der Quadratschädel am Steuer blickte konzentriert in die Nacht, aus der die Scheinwerfer einen stetig wandernden Lichtkegel herausschnitten. Der Quadratschädel links neben mir beobachtete mich und schien beruhigt, da er mir nicht viel zutraute. Ich erinnerte mich an die Pistole in meinem Jackett, lehnte mich zurück, dachte an Chantal, Mettler, Aschenbachs kurzlebiges Glück da vorne, Mano, den ich nicht vergessen wollte, spielte Fluchtversuche durch, denn Carlos’ gefügige Helfer würden Mitwisser bald beseitigen, und blickte in die Nacht, die uns alle auf dieser Fahrt umgab.