Joana Brouwer: Marlenes Kind

- Rezensionen -




Grafschafter Nachrichten, 27.09.2010


Mord und Betrug im Grafschafter Milieu

Nordhornerin Joana Brouwer legt ihren fünften Krimi vor


Von Bernd Durstewitz - Nordhorn. "Dieter … stellte sich ans Fenster. Von hier aus hatte er einen wunderbaren Blick auf die Kirche. Die ersten Händler bauten ihre Verkaufsstände für den wöchentlichen Sonnabendmarkt auf …" Dieter, das ist der Nordhorner Hauptkommissar Dieter Fuchs, der von Lingen aus die Ermittlungen in einem Mordfall leitet. Das Fenster gehört zu einem Haus in Nordhorns Alter Synagogenstraße. Die Kirche ist die Alte Kirche am Markt. Nachzulesen ist die Nordhorner Topographie im neuesten Krimi der Nordhorner Kriminalautorin Joana Brouwer: "Marlenes Kind" (Principal Verlag, Münster, 2010; 247 Seiten).

Joana Brouwer hat ihren fünften Heide von der Heide-Krimi exakt in der Grafschaft Bentheim verortet: Sieringhoek, Gildehaus, Nordhorn, Veldhausen, Neuenhaus, Lage. Hier sowie in Lingen und Osnabrück sind navi-genau die Mord- und Ermittlungsstätten zu finden, an denen sich Dieter Fuchs mit seinen Kollegen und die Osnabrücker Privatdetektivin Heide von der Heide im Frühjahr 2009 tummeln, um zwei Morde aufzuklären, die zunächst nichts miteinander zu tun zu haben scheinen: der Mord an einer schönen jungen Frau und der an einem geheimnisvollen Casanova, der als begabter Heiratsschwindler wohlhabende ältere Damen ausnimmt. Den ersten Mordfall bearbeitet der Kommissar, den Betrugsfall die Privatdetektivin im Auftrage einer Geschädigten. Die beiden unterschiedlich bestallten Ermittler kommen sich während der wachsenden Verzahnung der beiden Fälle – dieses Mal ohne Rivalitätskabbeleien – nicht nur beruflich in die Quere, sondern ohnehin auch privat und intim. Sie sind ein Pärchen. Er wünscht sich eine feste Ehebindung, sie will eine Restfreiheit bewahren – ein Übungsplatz für witzige Privatscharmützel.

Die Autorin versteht sich auf einen spannenden Plot, die beiden Morde so geschickt platzierend, dass der im Nachhinein erzählende Detektivroman gegen Ende in einen im Hier und Jetzt spielenden Kriminalroman hinübergleitet. Überhaupt der Plot: Hier spielt die Musik. Trotz Personen- und Namensfülle überschaubar, köchelt die Spannung ständig vor sich hin, am Leben gehalten durch neu eingeführte Personen und Personalverknüpfungen. Da die Motivhintergründe lange im Dunkeln bleiben, erlischt die Spannung nie. Blinde Motive führen den Leser auf Holzwege. Er weiß nicht mehr als die Ermittler. Allenfalls die Personenzeichnung, die manchmal etwas plakativ ist, lässt frühe Rückschlüsse zu, die aber allesamt unsicher bleiben.

Der zentrale Einfall, Personenidentitäten mit Hilfe von Anagrammen (gewollte Buchstabenvertauschungen) zu verrätseln, ist voll tragfähig. Die Handlung lebt von Gesprächssituationen, die durchaus jeweils eine unverwechselbare Atmosphäre haben. Es wird sprechend ermittelt. Die ab und zu eingestreuten topographischen und historischen Informationen tragen zur Milieubildung bei, sind aber nicht durchweg unaufdringlich. Die Sprache ist situativ und personal angemessen, unauffällig auf der Seite des Erzählers, in einigen Fällen klischeehaft.

Joana Brouwer hat mit Heide von der Heide eine Detektivfigur geschaffen, die durchaus serielles Potenzial hat. Das ausgeprägte Lokalkolorit und die Kunst, ein Handlungsgeflecht zu weben, ohne es vorschnell zu zerreißen, machen diesen Krimi lesenswert.