Rudolf Bock

Elektrische Entladungen in Gasen...

Die Entdeckung des Elektrons

2. Der Durchgang von Elektrizität durch Gase


2.1. Allgemeines


Schon bald nach der Erfindung der Elektrisiermaschine hat man beim Übergang von Elektrizität in Luft leuchtende Funken gesehen; diese Beobachtung führt zu Aufklärung der Natur von Blitz und Donner und zur Erfindung des Blitzableiters durch B. FRANKLIN.

Eine zweite, weniger auffällige Erscheinung ist das Auftreten von schwachen Lichtblitzen in TORRICELLIschen Barometerröhren, das im Dunklen bei gelegentlichem Bewegen des Gerätes zu sehen ist. Der Effekt wird korrekt als eine Form von Reibungselektrizität gedeutet, lässt sich als nettes Spielzeug verwenden, vermag aber wissenschaftlich zunächst keine wesentlichen neuen Erkenntnisse zu erbringen.


2.2. Elektrische Entladungen in verdünnten Gasen; ein neues Forschungsgebiet


Erst 1752 verändert eine Publikation von W. WATSON die Lage grundsätzlich; das Verhalten von verdünnten Gasen beim Durchgang von Elektrizität zeigt völlig neue Effekte, deren zunächst rein qualitative Beobachtung die Forschung der nächsten Jahrzehnte in Anspruch nimmt.


WATSON 1752


Im Rahmen eines Vortrages erwähnt W. WATSON 1748 Experimente, die das Verhalten von Reibungselektrizität im Vakuum beschreiben:

Ich werde gegenwärtig davon absehen, Ihnen eine Reihe von Experimenten vorzuführen, welche im Vakuum durchgeführt wurden. ... Wir werden sehen, dass die Elektrizität nach Entfernung der Luft ein Vakuum über eine beträchtliche Distanz durchdringt. ... Aber diese Effekte werden wohl Gegenstand einer späteren Mitteilung sein. [2.1].

Die angekündigte Publikation erscheint 1752. Ein Glasrohr von fast 3 Fuß Länge und annähernd 3 Zoll Durchmesser wird an beiden Enden mit geölten Lederkappen versehen, durch welche Metallelektroden eingeführt werden; die eine Elektrode ist verschiebbar, die andere feststehend. Eine Elektrisiermaschine wird an beide angeschlossen, dann wird das Rohr mit einer besonders guten Luftpumpe evakuiert. Nach weitgehender Entfernung der Luft zeigt sich, dass auch bei größtmöglichem Abstand der Elektroden ein Strom durch das Vakuum hindurchfließt:

... die Elektrizität floss vom oberen Teil bis zum Boden der Röhre, ... es war ein besonders eindrucksvolles Schauspiel, den Durchgang der Elektrizität in einem verdunkelten Raum anzusehen und beobachten zu können, dass das Glänzen anders als in gewöhnlicher Luft mit den Funken oder Strahlenbüscheln ... sich über die ganze Länge der Röhre zwischen den Elektroden erstreckte: 32 Zoll mit einem silbernen Schein. [2.2].

Ein weiterer Versuch wird nach einem Vorschlag von H. CAVENDISH mit einem u-förmig gebogenen Glasrohr durchgeführt (Abb. 2.1.).

Das Ganze entspricht zwei Barometerröhren, deren untere Enden in Näpfe mit Quecksilber tauchen; im oberen, beide Schenkel überbrückenden Stück herrscht das seinerzeit beste erhältliche TORRICELLIsche Vakuum. Nach Anschließen an eine Elektrisiermaschine verhalten sich die beiden Quecksilberoberflächen in den Röhren als Elektroden, und man erhält die gleiche Leuchterscheinung wie in dem zuerst beschriebenen Versuch.

(WATSON hat zum einen nachgewiesen, dass Gase, die bei gewöhnlichem Druck Nichtleiter sind, nach starkem Verdünnen die Elektrizität recht gut leiten. Zum anderen ist seine Versuchsanordnung - eine evakuierte Röhre mit Elektroden - überaus variierbar; sie hat im Prinzip bis heute ihre Bedeutung behalten.)




S. 21 ff:

MASSON 1838-1855


Bei der Untersuchung von elektrischen Entladungen in verdünnter Luft führt A. MASSON wichtige experimentelle Verbesserungen ein. Den bekannten Stromquellen - Elektrisiermaschinen und LEYDENER Flaschen - fügt er ein durch Induktion wirkendes Gerät hinzu, das auf den beim Schließen und Öffnen von Stromkreisen gebildeten Induktionsstromstößen beruht; dabei wird der einer Batterie von meist 8 Elementen entnommene Primärstrom mit einem Zahnrad mechanisch zerhackt und durch eine Primärspule mit wenigen Windungen geleitet. In einer Sekundärspule mit 1.300 m Drahtlänge entsteht ein schwacher, hochgespannter Sekundärstrom. [2.19]. Zuletzt wird die oben beschriebene, verbesserte Form dieses Gerätes nach RÜHMKORFF verwendet. (Vgl. auch FARADAY 1832).

Die Stromstärke ist bei den Entladungen immer sehr gering, wie mit einem Galvanometer nachgewiesen wird. Das Messgerät zeigt nur während der Leuchterscheinungen einen Strom an, "dunkle" Entladungen werden niemals gefunden. Die Entladungen sind diskontinuierlich, was sich aber aus der Art ihrer Erzeugung durch das Induktionsgerät ergibt.

Die Versuche werden anfänglich mit barometrischen Röhren durchgeführt, bei denen aber oft Schwierigkeiten durch an der Glaswand abgesetztes Quecksilber auftreten und wiederholt Zerbrechen durch Überhitzung eintritt. Daher wird zusätzlich ein sogenanntes "elektrisches Ei" mit an Stäbchen befestigten kugelförmigen Elektroden verwendet. Schließlich wird mit einer Metallglocke gearbeitet, deren Öffnung mit einer Glasplatte verschlossen ist; die Elektroden können verschoben werden, und mittels eines Dreiwegehahnes im Pumpenanschluss können Luft oder andere Gase zugeführt werden (Abb. 2.3). [2.25].

Zu Diskussionen über verschiedene Arten von Elektrizität, die schon damals und noch viele Jahre danach geführt werden, heißt es:

Erscheinungen, die wir mit unserem Induktionsgerät erhielten, haben wir immer und in gleicher Weise auch mit [dem Strom] einer Elektrisiermaschine oder einer LEYDENER Flasche gefunden ...

.......

Was auch ihre Quelle sei, so zeigt die Elektrizität doch immer die gleichen Erscheinungen und die gleichen Wirkungen. [2.20].

(Was auch FARADAY 1833 gefunden hatte).


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Die elektrische Leitfähigkeit des absoluten Vakuums wird mit einer Barometerröhre untersucht, die im oberen Teil eine eingeschmolzene Platinelektrode enthält. Die Quecksilberoberfläche als Gegenelektrode kann leicht verschoben und somit der Abstand der Elektroden verändert werden. DAVY hatte 1822 mit dieser Versuchsanordnung Stromdurchgang und Leuchterscheinungen im TORRICELLIschen Vakuum erhalten. MASSON legt die Spannung einer Batterie an die Elektroden, kann (offenbar wegen zu geringer Spannung) keinerlei Effekte erhalten und schließt:

Das Vakuum leitet den Strom nicht. [2.19].





S. 490 ff:


Die Priorität der Entdeckung des Elektrons:



Nach den vorliegenden Daten kommen FARADAY, STONEY, SCHUSTER, DES COUDRES und KAUFMANN nicht als Entdecker des Elektrons infrage.

FARADAY und STONEY haben sich mit der Elementarladung e, nicht aber mit dem Elektron der Masse m und der Ladung e befasst. SCHUSTER, DES COUDRES und KAUFMANN haben nicht erkannt, dass bei ihren Versuchen ein subatomares Teilchen vorlag.

ZEEMAN bestätigt 1896 durch die Beobachtung der magnetischen Beeinflussung von Spektrallinien die Theorie von LORENTZ, nach welcher sich innerhalb der Atome ausgezeichnete Bereiche befinden, die jeweils einzeln zum Oszillieren angeregt werden können. Eine gedankliche Verbindung zu den freien Elektronen der Kathodenstrahlen wird nicht gesehen.

Es verbleiben somit WIECHERT und J.J. THOMSON als mögliche Entdecker des Elektrons.

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Nochmals die Fakten:

WIECHERT hat 1897 nach einem Vortrag vom 7. Januar mit zwei voneinander unabhängigen Methoden festgestellt, dass die Kathodenstrahlen aus Teilchen bestehen, deren Massen mehrere Größenordnungen kleiner sind als die Masse des H-Atoms; vorausgesetzt ist dabei, dass die Ladung des Teilchens der durch chemische Elektrolyse definierten kleinsten Ladung entspricht. Die Masse des subatomaren Teilchens wird quantitativ eingegrenzt. Der Befund wird im Mai 1897 gekürzt nochmals mitgeteilt und im September bei einem anschließend publizierten Vortrag verbessert.

J.J. THOMSON befasst sich in der Publikation vom Mai 1897 mit einem hypothetischen Ur-Atom oder Korpuskel, dessen m/e-Verhältnis bestimmt wird.

In der ausführlichen Publikation vom August 1897 wird das Ur-Atom genauer definiert: Es hat eine kleinere Masse als das H-Atom und eine größere Ladung als die aus Elektrolyseversuchen erschlossene kleinste Elektrizitätsmenge. Alle chemischen Elemente sind aus gleichartigen Ur-Atomen zusammengesetzt, ähnlich wie PROUT die Materie aus H-Atomen zusammengesetzt sieht.

Bei dieser Sachlage ist es schwer zu verstehen, dass J.J. THOMSON weltweit fast einhellig als Entdecker des Elektrons anerkannt wird. Zudem hat er nach seinen eigenen Worten nicht das Elektron entdeckt, sondern das Korpuskel, ein subatomares Partikel mit Masse, Ladung und Eigenschaften, die sich völlig von denen des Elektrons unterscheiden.