Otto Beil

Tschüss denn! Bis zum nächsten Krieg!

15.

In den nächsten Stunden herrscht ein verrückter Betrieb. In alle Richtungen werden Fernsprechleitungen verlegt. Die Trupps rasen wie die Wilden durch die Schneelandschaft. Oberleutnant Böhm greift persönlich ein. Laufend neue Gegenstellen mit den merkwürdigsten Decknamen werden an Artmanns Vermittlung angeschlossen: Gaurisankar, Sanitäter, Geheimrat, Meeresstrand, aber überall melden sich Leute von der zweiten Kompanie, der Kompanie von Oberleutnant Böhm. Na ja, heißt es, die Einheiten, die die 27. Panzerdivision bilden werden, müssen erst noch in ihre Bereitstellungsräume einrücken (wo sie dann wenigstens einen Telefonapparat vorfinden?). Natürlich geht das nicht so schnell. Allein wegen der schwierigen Straßen. Und außerdem werden die Einheiten von Nachbardivisionen abgestellt. Sagt der Oberleutnant Böhm.

Soso. Die Armeereserve für die achte italienische Armee besteht aus einer Fernsprechkompanie und der Hoffnung auf Einheiten, die zunächst anderen Divisionen weggenommen werden müssen.

Am nächsten Tag - ein Grund ist nicht erkennbar - wird plötzlich Hals über Kopf aufgebrochen. Nur die direkt erreichbaren Leitungen werden hastig abgebaut. Alles andere bleibt liegen. Nagelneuer Draht im russischen Schnee. Der Kompaniebestand an Leitungsmaterial wird dadurch schlagartig auf die Hälfte reduziert.

»Kriegen wir schon irgendwie wieder«, schnarrt der Oberleutnant Böhm und teilt seinen Herren Pufke und Haarnagell mit, dass die im Entstehen begriffene 27. Panzerdivision sich in einem zirka dreißig Kilometer entfernten Raum, südöstlich von hier, bilden werde. Es gibt eine endlose Fahrerei. Sie dauert die ganze Nacht. Immer in der Richtung, in der das Geschützfeuer zu sehen ist. Mitten in der fahl beleuchteten Nacht kommen sie durch Stellungen mit Unterständen und Maschinengewehrnestern. Die Männer, die da Wache stehen, haben andere Uniformen an; es sind die italienischen Waffenbrüder. Eine kurze Weile ist links unten ein breiter zugefrorener Strom zu erkennen. Das ist der Don. Später stellt sich heraus, dass die Front an dieser Stelle niemals weiter östlich verlaufen ist. Es war die Grenze, über die der Führer, trotz seiner heldenhaften Soldaten, den Schurken Stalin nicht zurückwerfen konnte.

Und der Strom ist nur noch für wenige Stunden diese Grenze, wie sich bald zeigt.

In dem Raum, in dem sich nach Oberleutnant Böhms Meinung die 27. Panzerdivision bilden soll, geht das Dorf in Flammen auf, durch das seine Kompanie soeben hindurchfährt. Die italienischen Waffenbrüder rennen durcheinander. Pferdegespanne scheuen vor den (wundervoll leuchtenden) Flammen. Das russische Geschützfeuer liegt ziemlich gut. Es gibt nur eine Richtung, in der sich alles bewegt. Offenbar ist es die Richtung Rückzug.

Es beginnt ein planloses Herumfahren der vollmotorisierten Einheit, die zu keinem Verband gehört, bei dem sie sinnvolle Verwendung gefunden hätte. Denn Nachrichtenleute werden für Führungsstäbe gebraucht, bei denen viel telefoniert wird, für Oberste, Majore, Hauptleute, die per Telefon die Frontlage erkunden, Einsätze von Einheiten befehlen und sich deren Ausgang mitteilen lassen. Aber für diese Fernsprechkompanie gibt es keine Divisions- und Regimentsstäbe. Oberleutnant Böhm sucht sie gleichwohl. Zweifellos hat er einen entsprechenden Befehl.

16.

Beiderseits der Fahrbahn marschieren im Gänsemarsch die italienischen Waffenbrüder durch die eisige Nacht. Ihre Ausrüstung, die olivgrüne Uniform mit dem kurzen, eleganten Mantel, ist absolut ungeeignet für den russischen Winter. So mancher von ihnen hat hier zum ersten Mal in seinem Leben Schnee gesehen. Und dieser Schnee war auch das Letzte, was er sah.

Gegen Morgen, die marschierenden Italiener sind weit zurückgeblieben, trifft die Kolonne erneut auf eine Gruppe von Italienern. Sie sitzen am Straßenrand und rasten. Dreißig, vierzig Mann, vielleicht auch mehr. Die Fahrzeugkolonne stockt, wie das oft bei der Kolonnenfahrt passiert, und man steht direkt neben den Männern, die da sitzen.

»Komisch«, sagt Spangenberg, »die bewegen sich überhaupt nicht.«

»Die pennen«, sagt Meyer.

Spangenberg steigt aus, um seine kalten Füße ein bisschen zu vertreten und geht nahe an die Gestalten heran, die da ganz still an der Straße sitzen. Einen Augenblick später klettert er eilig in den Wagen zurück. »Mann«, sagt er, »die pennen nicht. Die sind tot! Erfroren.«

Tatsächlich, wenn man genau hinguckt, sieht man, dass sie auf der einen Seite vom Schnee halb zugeweht sind. Der Meyer steckt sich eine Zigarette an und wirft nur hin und wieder einen Blick auf die stillen Männer draußen neben dem Wagen.

»Scheiße«, brummt er halblaut und hält die Zigarette mit der Glut dicht an die Handfläche. Da wärmt sie ein bisschen.

17.

Irgendwann, jedenfalls ein paar Tage später, hat sich so etwas wie eine 27. Panzerdivision - wenn man die Sache optimistisch betrachtet - gebildet. Es sind sechs Panzer, eine Batterie Feldgeschütze, ein Pionierbataillon, einige Trosseinheiten. Alle sind sie irgendwo abgezweigt worden. Die Einzigen, die original zu dieser Panzerdivision gehören, sind die Nachrichtenleute. Es dürfte kaum eine Division auf der Welt mit relativ so vielen Fernsprechern geben.

Der Kommandeur dieses militärischen Gebildes ist ein Oberstleutnant von Nottebohm oder so ähnlich. Sein Stabschef ist ein von Holten, Major oder so. Dagegen stehen die Nachrichtenleute mit ihren bürgerlichen Offizieren Böhm, Haarnagell und Pufke sehr ärmlich da.

Gräfin, verehrteste, der Adel verdankt seine bevorzugte Stellung zumeist Kriegstaten. Entweder hat sich ein Ahnherr in grauer Vorzeit durch besonderes Draufgängertum oder durch klugen Rückzug das Wohlwollen seines Landes-, Dienst- oder Lehnsherrn erworben, der - selbst bereits dem Adel zugehörig - nun seinen Mitstreiter mit einem (selbstverständlich geringeren) Adelstitel nebst Landbesitz belohnte. Ich stelle mit Befriedigung fest, dass der derzeitige Adel sich, jedenfalls in Notzeiten wie den gegenwärtigen, dem Kriegshandwerk widmet und dort ganz selbstverständlich die höheren Chargen bekleidet. So dient der Adel seinem Staat, gleichgültig, wem der Staat dient. Selbstredend in den besseren Rängen, denn da dient es sich angenehmer.

Vielleicht würde ich auch mit größerer Begeisterung dienen, wenn ich wenigstens einen Untergebenen hätte.

Die Division beginnt tatsächlich zu funktionieren. Unentwegt müssen Strippen gezogen werden: zu den Pionieren, die eigentlich die Infanterie bilden, zu der Artillerie, und natürlich zu den Panzern. Ein Truppenteil, der nicht telefonisch zu erreichen ist, ist kein Truppenteil.

Der Krieg spielt sich hier nicht an einem durchgehenden, unüberwindlichen Schutzwall ab, der das deutsche Volk gegen die aus Asiens Steppen anrennenden Horden schützt. Nein, der Krieg findet in der Bewegung statt. Doch Vorstöße und Rückzüge sind nur auf den wenigen Straßen möglich. Da geht es dann von Dorf zu Dorf. Und zwar im Allgemeinen für die Deutschen rückwärts. Allerdings ist die Rückzugsrichtung nicht Westen, sondern Südwesten, wahrscheinlich weil die Straßen so verlaufen.

18.

Es ergibt sich so etwas wie Routine. Die Jungs sind zwar erst seit zwei Wochen im Einsatz, aber jeder weiß schon ganz gut, was er zu tun hat, wenn eine Leitung gebaut oder abgebaut oder wenn eine Störung gesucht werden muss. Dass eine Leitung kaputt ist, merkt man, wenn man am Apparat kurbelt und es geht so eigentümlich leicht oder es meldet sich niemand. Dann gehen die Störungssucher los. Gewöhnlich zwei Mann. Das Prinzip ist ganz einfach: Man geht solange an dem Draht entlang, bis man die Unterbrechung findet. Die flickt man und alles ist in Ordnung. In der Regel geht das so. In der Realität ist es häufig anders. Man geht erst mal in die Richtung, in die die gestörte Leitung laufen müsste. Dann schaltet man sich in die Leitung ein, denn man schleppt ja einen Feldfernsprecher mit.

Wenn es die richtige Leitung ist und sich nur die Stelle meldet, von der man gerade kommt, ist alles klar: Weitersuchen. Manchmal meldet sich sogar eine Truppe, die man nicht kennt. Dann hat man die falsche Leitung erwischt und muss die richtige suchen. Wenn man die hat, muss man sie verfolgen. Bisweilen sieht man es mit bloßem Auge: ein schwarzes Loch im Schnee, ein paar sternförmig weggespritzte schwarze Striche: Granateinschlag. (Komisch, dass die Russen so oft den dünnen Draht treffen.) Dann zieht man die beiden Enden der Leitung zusammen, verbindet sie, schließt den Fernsprecher an und prüft, ob sich beide Teilnehmer melden. Tun sie das, ist alles gut.

Es kommt aber auch vor, dass sich überhaupt niemand meldet. Dann hängt man ganz in der Luft und kann sich überlegen, ob man nach vorn oder nach hinten weitersuchen will. Ratsam ist es, erneut in dem Abschnitt zu suchen, der zum eigenen Trupp führt, um möglichst bald wieder mit dem in Verbindung zu kommen. Es kommt nämlich immer häufiger vor, dass Artmann am Apparat ist und sagt: »Ihr Blödmänner, warum habt ihr euch nicht früher gemeldet? Kommt sofort zurück. Lasst die Scheißleitung gestört. Wir hauen ab.«

Das Abhauen wird zur wichtigsten Beschäftigung. Die Kompanie ist weit auseinander gezogen, heißt es, weil die Division einen breiten Abschnitt zu betreuen hat. Und da sich der Krieg - wie erwähnt - entlang der Straßen und dort von Dorf zu Dorf abspielt, scheint unsere Division ihren Krieg auf zwei oder drei solcher Straßen zu verrichten. Zwischen den Straßen gibt’s offenbar keine Querverbindungen. Wenigstens taucht ab und zu der Leutnant Haarnagell auf und gibt das nächste Ziel an.

Artmann, das muss man ihm lassen, setzt sich voll ein. Insbesondere bei den Abbauaktionen geht er jedes Mal selbst mit. Das Dumme daran ist nämlich, dass sie zwangsläufig in Richtung auf die heranrückenden Russen durchgeführt werden müssen.

Normalerweise sind es die russischen Granatwerfer, die die Straße, auf der sich alles abspielt, unter Feuer nehmen und die Fernsprechsoldaten belästigen. Da fliegen einem ab und zu schon mal ein paar Brocken um die Ohren. Artmann und seine Leute haben sie nie getroffen. Die wickeln ihren Draht auf, so schnell sie nur können. Eines der beiden Fahrzeuge bleibt in der Nähe, um die vollen Trommeln aufzunehmen und um davonzubrausen, wenn es zu brenzlig wird. Solange man vor sich das Schießen hört, ist es nicht so schlimm: Da ist noch irgendeine Nachhut tätig.

Aber dann ziehen ein paar Trupps von Landsern eilig vorbei. Das Schießen da vorn, das ziemlich nahe war, hört auf. Einer der wenigen eigenen Panzer fährt zurück, ein paar Landser sitzen drauf. Ein Volkswagen kommt angesaust mit einem Leutnant drin. Der fragt: »Seid ihr von Pi 32?«, - also, ob man zum Pionierbataillon 32 gehört - und braust weiter, als das verneint wird.

Nun wird es Zeit. »Aufhören!«, brüllt Artmann und kneift selbst den Draht ab, während er - und die anderen - erwarten, dass jeden Augenblick irgendetwas Russisches über die Anhöhe da vorn kommt. Der Wagen wird eilig auf der schmalen Straße gewendet, die Männer springen auf. Artmann vergewissert sich, dass alle da sind. Dann fahren sie los - volle Pulle - und der Wagen schleudert auf dem festgefahrenen Schnee der Fahrbahn zwischen den seitlichen Wällen hin und her.

Dann kommt die Stelle, auf die sich die russischen Granatwerfer eingeschossen haben. Jedes Mal, wenn ein deutsches Fahrzeug die Stelle passiert, feuern sie drei oder vier Granaten ab. Bei dem Leutnant, der nach Pi 32 gefragt hat und der ein paar hundert Meter weiter vorn fährt, schießen sie zu spät. Die Schnee- und Erdfontänen spritzen hinter ihm hoch.

Bei Artmanns Fahrzeug kommen die Granaten zu früh. Allerdings nicht wesentlich zu früh.

Schließlich richten Artmanns Leute wieder eine Vermittlung ein und legen Leitungen zu Segelschiff, die jetzt Herbstlaub, Sommerfest und Wetterstein heißen. Das soll die Russen verwirren. Dann ist alles wie am Tag zuvor. Bloß das Dorf, in welchem sie nun sitzen, liegt zwanzig Kilometer weiter im Südwesten.

19.

Und dann taucht der Leutnant Pufke auf. Mit Schimmel. Ausgerechnet neben der Bude von Artmanns Trupp quartiert er sich ein. Leutnant Haarnagell ist mit vereiterten Mandeln ins Feldlazarett gegangen, erzählt Schimmel.

Als der Leutnant Pufke am ersten Abend zum Trupp Artmann kommt, hat ihn keiner bemerkt. Artmann schläft, der Mann am Klappenschrank döst und Meyer stocht das Feuer im Ofen mit kümmerlichem Sonnenblumenstroh. Spangenberg besucht ein paar Häuser weiter einen Kumpel, Lörper schiebt Wache, Hetzerath ist zum Scheißen rausgegangen.

Da ist was los. »Ruft hier keiner Achtung wenn ein Offizier kommt?«, keift der Leutnant. Artmann guckt verschlafen von seiner Schlafbank.

Meyer am Ofenloch brüllt verspätet: »Achtung!«

Artmann richtet sich auf und sagt ebenfalls: »Achtung.« Dann meldet er: »Trupp Artmann mit sechs Mann beim Dienst an Vermittlung; ein Mann am Klappenschrank, ein Mann auf Wache, ein Mann«, er blickt sich suchend um, »also wo die anderen stecken, weeß ich nich - doch, een Mann (er meint Meyer) is wachfrei.«

»Artmann!«, brüllt der Leutnant. »Sind Sie wahnsinnig? Sie wissen nicht wo Ihre Leute sind? Einschließlich Mann vom Klappenschrank raus aus der Bude. Hinlegen! Auf! Marsch! Hinlegen! Seid ihr noch zu retten? Auf! Marsch! Achtung, in Reihe antreten, losloslos!«

Es sieht verdammt lächerlich aus, diese Reihe aus vier Soldaten auf der nächtlichen russischen Dorfstraße. Hetzerath kommt ahnungslos vom Scheißen zurück.

»Artmann, gehört der auch zu Ihrem Haufen?«

»Jawoll, Herr Leutnant.«

»Dann müssen wir das Flachrennen wiederholen. Weg marsch, kehrt marsch, hinlegen! Bewegung, meine Herren, Bewegung!«

Da erscheint Spangenberg. Des Leutnants Gebrüll hat er schon von Weitem gehört.

»Gefreiter Spangenberg meldet sich zur...«

»Hauen Sie ab, Mensch! Beteiligen Sie sich sofort - hinlegen, ihr Luschen! Auf! Marsch! - am Flachrennen. Ich werde es euch zeigen, ihr Weihnachtsmänner. Weg marsch, Richtung letztes Haus links von der Dorfstraße!«

Die Artmann-Mannschaft rennt in die angegebene Richtung. Aber nur die ersten zwanzig Meter. Dann - es ist ja ziemlich dunkel - wird das Tempo gemütlich. Der Letzte von dem trabenden Haufen ist Artmann. »Ganz ruhig, Leute«, schnauft er zwischendurch.

Pufke hat die Truppe aus den Augen verloren. »Zurückkommen!«, brüllt er in die Nacht. Nichts. »Zuurückkoommen!« Keine Wirkung. Dafür braust aus der anderen Richtung ein Beiwagenkrad heran und bremst scharf vor dem Quartier des Trupps Artmann und damit direkt neben Leutnant Pufke. Im Beiwagen sitzt der Oberleutnant Böhm.

»Herr Pufke, was geht hier vor? Warum meldet sich die Vermittlung Hochseeflotte nicht?«

»Herr Oberleutnant, ich lasse die Leute eine Runde traben, zur Aufmunterung.«

Böhm springt aus dem Beiwagen - dem Pufke fast ins Gesicht. »Sie lassen die Leute traben? Das Armeekorps will den Kommandeur Pionierbataillon sprechen. Dringend. - Ja, ist das denn zu fassen! Herr Pufke - sofort die Vermittlung besetzen!«

»Jawoll, Herr Oberleutnant - Schimmel!! Schiiimmel!!!«

Schimmel wird an die Vermittlung gesetzt, wo am Klappenschrank haufenweise ungeduldige Anrufe schnarren. Schimmel ist Fachmann. Ungerührt von den Anpfiffen, die er abkriegt, weil sich solange niemand gemeldet hat, fängt er an, die Anrufer nach und nach zu verbinden.

Inzwischen sind Artmann und seine Leute umgekehrt und zurückgetrabt. Die Anwesenheit des Kompaniechefs kann nichts Gutes bedeuten. Das ist Artmann und seinen Leuten klar. Vorsichtshalber setzt der Truppführer zu einer Meldung an: »Trupp Artmann vom letzten Haus links der Straße zurück.« Dabei weiß er nicht, ob er Pufke oder Böhm melden soll. Also meldet er in den Zwischenraum der beiden Offiziere.

»Besetzen Sie sofort die Vermittlung«, knirscht Pufke. Artmann und seine Leute beziehen ihre Bude.

»Du kannst abhauen, Schimmel«, sagt Meyer, der den Klappenschrank übernimmt, und lässt sich dann noch ein paar Mal von Anrufern fertig machen, die ihrer Meinung nach zu lange auf die Verbindung haben warten müssen.

Was Böhm draußen seinem Pufke gesagt hat, weiß man nicht. Schimmel meinte später, Pufke sei bis zum nächsten Mittag ziemlich schweigsam gewesen.

20.

Verehrte Gräfin, manchmal glaube ich, ich hätte mein Lebtag nichts anderes gemacht als diesen Winterfeldzug. Dabei sind wir kaum vier Wochen an der Front und eigentlich ist es uns auch gar nicht schlecht gegangen. Natürlich relativ gesehen. Der einzige Ausfall, der mir bisher bekannt geworden ist, ist der des Leutnant Haarnagell. Er soll aber bald wiederkommen, heißt es. Das wäre schon gut. Wir haben nämlich jetzt ständig mit dem anderen Leutnant, dem Leutnant Pufke, zu tun. Der Kompaniechef kann den Pufke nicht leiden, und der Leutnant Pufke kann den Obergefreiten Artmann und damit den ganzen Trupp nicht leiden. Die Folge davon ist, dass Pufke bevorzugt unangenehme Aufgaben durchzuführen hat, die er dann Artmann und seinen Leuten überträgt. So sind wir dauernd beschäftigt.

In dieser Gegend ist einfach alles Gegend. Alle paar Kilometer gibt es ein dürftiges Dorf, das aus zehn oder fünfzehn Hütten besteht, die, manchmal nur auf einer Seite, die Straße säumen. Sonst gibt es ein paar flache Hügel, selten unterbrochen von einer Trockenschlucht. Kein Baum, kein Gehölz, höchstens mal ein großer Strohschober mitten auf dem Feld, der voller Mäuse und Ratten ist.

Ab und zu erscheinen russische Bomber am Himmel. Nicht viele, höchstens drei, vier Stück auf einmal. Schön ist es nicht gerade, wenn man sie herankommen und dabei die Bomben fallen lassen sieht. Bei dem sonnigen Wetter, das jetzt manchmal herrscht, erkennt man das ganz deutlich. Dann wirft man sich zu Boden und versucht zehn Sekunden lang an überhaupt nichts zu denken. Wenn es rundherum gekracht hat und man neugierig wird, ob etwas passiert ist, dann hat man überlebt.

Vor ein paar Tagen, es war am Abend und bereits dunkel, hörten wir ein Flugzeug. Wir waren in der Panjebude und ließen uns nicht stören. Es krachte zwar ein paar Mal, aber nicht allzu nahe. Spangenberg ging zum Wagen hinaus, um einen Eimer oder so was zu holen. Der Wagen stand etwa drei Meter vom Haus entfernt. Grinsend kam er wieder herein.

»Mensch«, sagte er, »direkt vor dem Auto liegt ein Blindgänger.«

Tatsächlich, eine Fliegerbombe, vielleicht eineinhalb Meter lang und ein Drittel davon im Durchmesser. Die Leitflossen hinten waren verbogen und vorne, seitlich hatte die Bombe eine ordentliche Beule.

Spangenberg, da zeigte sich eben die Fronterfahrung, holte einen Pan, einen älteren Russen, aus dem Nebenhaus. (Ein paar ältere Männer sind immer noch in den Dörfern.) Spangenberg zeigte seinem Pan die Bombe.

Der Pan lachte und zeigte seine Stahlzähne. Spangenberg schlug dem Pan aufmunternd auf die Schulter. »Dawai, dawai, Gospodin Pan, Hund, du verfluchter, dawai, pascholl!«

Der Pan wollte sich ausschütten vor Lachen. Spangenberg schaufelte mit seinen Händen in der Luft herum, was dem Russen bedeuten sollte: Weg mit dem Ding, abtransportieren, irgendwie. Der Pan fing ebenfalls an, mit den Händen durch die Luft zu schaufeln. Dazu lachte er herzlich. Wahrscheinlich war er ziemlich blau. Dann verschwand er und kam kurz darauf mit einem Schlitten zurück.

»Ja, karoscho, Pan, karoscho!«, rief Spangenberg entzückt.

Und als der Pan begann, die schwere Bombe auf den Schlitten zu wuchten, gingen wir lieber ins Haus. Als wir nach fünf Minuten nachsahen, waren Pan, Schlitten und Bombe verschwunden. Ich nehme an, dass der Pan für die Bombe oder ihre Bestandteile Verwendung hatte.

Gräfin, glauben Sie bloß nicht, dass man hier hauptsächlich lustige Episoden erlebt. Das wäre eine gewaltige Täuschung.