Klaus Uhlenbrock

Jenseits der Schwelle



Michael hörte den Schrei. Als er hinübersah, waren die drei Lampen verschwunden.

"Auch das noch!" dachte er verärgert.

"Wer hat da geschrien?!" hörte er Dieters Stimme neben sich.

"Das war Olli", antwortete ein kleines Mädchen.

"Das kam von da drüben", rief ein anderes Kind nervös. Alle stürmten der Stelle zu, an der Olli auf dem Boden lag und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Knöchel hielt. Michael kniete sich neben ihn und befühlte das Gelenk.

"Alles in Ordnung", meinte er dann fachmännisch. "Scheint so, als hättest du dir nur ein wenig den Fuß verstaucht."

"Boh, jetzt kriegt der ‘nen Gips und braucht nicht mehr in die Schule", klang es neidvoll irgendwo aus dem Regen. Michael achtete nicht darauf.

"Scheiße, was macht ihr hier für einen Quatsch?!" fuhr er die drei Jungs an, die wie begossene Pudel nebeneinander standen.

Marcel antwortete zerknirscht: "Wir haben was in dem Stollen da gesehen. Da hat was aufgeblitzt, als ich mit der Taschenlampe hineingeleuchtet habe, und ich wollte mir das mal anschauen."

"Na und? Darum braucht sich Olli doch nicht gleich den Fuß zu verknacksen!"

"Olli und Peter haben mich wieder herausgezogen", verteidigte sich der Junge. "Da hab ich dann den Schuh gesehen, und vor lauter Schreck muß ich Olli getreten haben."

Michael verstand kein Wort und sah zu Dieter hinüber, der gerade den Stolleneingang untersuchte. Dann fragte er Marcel: "Was für’n Schuh? Ich versteh kein Wort von dem, was du da sagst."

"Also", begann der Junge noch einmal und betonte jedes einzelne Wort. Es klang genervt. "Da in dem Stollen hat was aufgeblitzt, als ich mit der Taschenlampe reingeleuchtet habe. Ich hab mich hingekniet, kam aber nicht ran. Da bin ich hineingekrochen. Als ich das Teil in der Hand hatte, haben mich Olli und Peter rausgezogen. An den Beinen."

"Aha, und was dann?"

"Da lag dann dieser Schuh", sagte Marcel eindringlich.

"Was für’n Schuh?" fragte Michael weiter.

"Dieser hier", erklang Dieters Stimme hinter ihm. Er hockte vor dem Stollen, und als alle zu ihm hinübersahen, strahlte er mit seiner Taschenlampe den Männerschuh in seiner anderen Hand an, der noch sehr neu aussah. Dabei war sein Gesicht totenbleich, und zögerlich fügte er hinzu: "Ich glaub, da drin liegt noch ein zweiter. Aber den hat noch jemand an."